Fundstück der 29. Kalenderwoche

(sw) Die Bundeswehr veranstaltet seit 1996 für etwa 300.000 Euro ein öffentliches Gelöbnis des Wachbataillons am 20. Juli vor dem Reichstag. Das das Wort "öffentlich" an sich euphemistischen Charakter hat, zeigen die immer ausgedehnteren Absperrungen rund um das Gelöbnis.
Es gehe dabei um die Verhinderung von personellen und akustischen Störungen während der Feierlichkeiten heißt es im Polizeijargon. Was ist an einem Gelöbnis öffentlich, wenn jegliche öffentlich geäußerte Kritik verhindert werden soll? Wenn noch obendrein der Bundeskriegsminister zu Guttenberg (CSU) die Bundeswehr in die Tradition des Widerstands gegen das Nazi-Regime stellt, verkommt die armeeverherrlichende Feier vollends zur Farce. So sagte er: „Er [der Widerstand - Anm. d. Verf.] ist wesentlicher Teil unseres Selbstverständnisses als Streitkräfte in der Demokratie. Gerade in unserer von den Einsätzen geprägten Gegenwart ist sie [die Widerstandstradition - Anm. d. Verf.] von größter Bedeutung.“ Diese Traditionslinie wird von militärischen und konservativen Kreisen versucht zu konstruieren, um die Verwicklungen der Bundeswehr mit dem Nazi-Regime zu vertuschen. Wie kann sich eine Armee als Teil des Widerstandes sehen, wenn sie durch Führungskräfte der Wehrmacht aufgebaut wurde? Ein berühmtes Beispiel ist Gerhard Graf von Schwerin, der kurz vor Kriegsende noch zum Wehrmachtsgeneral der Panzertruppen ernannt wurde. In der BRD wurde er dann Adenauers Berater für Militär- und Sicherheitsfragen und war maßgeblich am Aufbau der Bundeswehr beteiligt. Später diente er der FDP noch als wehrpolitischer Berater im Bundestag.
Die Bundeswehr hat zudem mit dem 20. Juli auch noch das Datum ausgewählt, an dem Stauffenberg ein Attentat auf Hitler verüben und gleichzeitig mit seinen treuen Offizieren das Nazi-Regime stürzen wollte. Dabei ging es Stauffenberg jedoch nicht um die Herstellung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, sondern er floh nur vom "sinkenden Nazi-Schiff" auf dem er und seine Getreuen in den Jahren vor 1944 noch fröhlich mitgerudert und die faschistische Politik unterstützten. Stauffenberg schrieb 1939 vom Polenfeldzug an seine Frau folgende Worte:
"Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt. Die Tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun. In Deutschland sind sie sicher gut zu gebrauchen, arbeitsam, willig und genügsam."
Guttenberg nennt Stauffenberg beim Gelöbnis ein Vorbild, wobei der US-Historiker Fritz Stern bei seiner Rede betonte, dass Stauffenberg und seine Männer keine Demokraten gewesen seien, sondern ein anderes Deutschland wollten und von der Weimarer Republik enttäuscht wurden. Wieviel Unsinn steckt in diesen beiden Aussagen? Mensch ist also Vorbild, wenn mensch sich menschenverachtend verhält und wenn mensch enttäuscht wurde, darf mensch der Wehrmachtsführung dienen und die Kriegspolitik der Nazis für richtig befinden?!?
Diesem bewussten Geschichtsrevisionismus tritt der SDS MLU entschieden entgegen und lehnt die gängige Formel "Staatsbürger in Uniform" ab. Die drei Worte drücken die Verzahnung von Militär- und Zivilgesellschaft aus und lassen die notwendige Trennlinie vergessen. In dem mensch aber dem Militär den zivilen Raum überlässt, ist eine schleichende Militarisierung im gesamten Land zu beobachten. Sei es einerseits durch die Präsenz der Bundeswehr bei Festen, in Schulen oder an den Hochschulen durch "Forschungsunterstützung" oder sei es andererseits die Betonung des Schutzes von Sicherheit und Freiheit durch die Bundeswehr von Seiten der PolitikerInnen.


Als weiterführende Lektüre zum 20. Juli 1944 und Stauffenberg sei folgende Broschüre der Gruppe "nevergoinghome" empfohlen:
http://nevergoinghome.blogsport.de/imag ... linien.pdf .
Für weitere Informationen zum Thema "Militarisierung der Bildung" seien folgende Internetlinks empfohlen:
http://www.rainer-rilling.de/texte/8310800m.htm (Auflistung von Hochschuleinrichtungen, die mit der Bundesverteidigungsminsterium kooperieren.),
http://www.gew.de/Einfluss_der_Bundeswe ... engen.html (Mitteilung der GEW zur Bundeswehr an Schulen.),
http://imi-online.de/download/MSG_Jugen ... Studie.pdf (Studie der IMI e.V. zum Einsatz von Jugendoffizieren an Schulen.).
Alle Links wurden zuletzt am 26. Juli 2010 geprüft.

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