Münch: „Wettbewerbsparadigma“ ist das neue Leitbild der Universitäten

(sw) Richard Münch, Professor für Soziologie an der Universität Bamberg, sagte, dass dieses Paradigma an sich nicht wirklich neu ist, weil es vom Neoliberalismus bestimmt ist, welcher seit etwa 25-30 Jahren immer mehr Gesellschaftsteile durchdringt. Doch gerade die Universitäten bzw. die Forscher/innengemeinschaft sehen sich dem immer mehr ausgesetzt. Münch sprach im Rahmen der Ringvorlesung an der MLU Halle-Wittenberg „Halle verändert – Wissenschaft verändert“. Der Vortrag war betitelt mit „Die Universität im Wettbewerb um Exzellenz. Von der akademischen Gemeinschaft zum strategisch operierenden Unternehmen“.
Er unterteilte den ersten Teil seines Vortrag in Makro-, Meso- und Mikroebene und zeigte dabei die Veränderungen auf. So merkte er an, dass es einen „akademischen Kapitalismus“ gebe, der die Forscher/innen immer mehr zu „Forschungsmanagern“ mache, weil erstens es einen internationalen Wettbewerb gebe, zweitens die Finanzen sehr knapp seien und drittens die Welt immer komplexer wird und mensch sich deshalb anpassen müsste. Dabei wird die Reformierung als alternativlos dargestellt und wie Münch sagte, wird auf andere Länder wie z. B. die USA verwiesen. Ebenso wird eine Freiheit durch die Drittmitteleinwerbung propagiert. Das dabei die Akademiker/innen immer abhängiger von den externen Geldgeber/innen werden, wird dabei gern ausgeblendet.
Auf der Mesoebene kommt es zu einer Verschiebung zwischen der „Schwächung der akademischen Selbstverwaltung“ und der gleichzeitigen „Stärkung der Hochschulleitung“. Und schließlich werden auf der Mikroebene immer mehr wirtschaftswissenschaftliche Techniken angewandt – unter dem Vorwand der Qualitätssteigerung. So werden die Dozierenden durch Evaluationen immer stärker kontrolliert und bewertet und damit wird versucht, die Leistungen zu vergleichen, um schlechter Evaluierte zu noch mehr Leistung anzutreiben. Dabei stellt sich dann, wie Münch bemerkt, eine Frage: „Profitieren alle Akteure vom Wettbewerb? Ist es wirklich ein Mehr-Summenspiel oder ein Null-Summenspiel?“
Im zweiten Teil des etwa 75-minütigen Vortrags ging Münch auf Rankings und die Ungleichheit zwischen den Universitäten ein. Er betonte, dass Rankings nicht die Realität abbilden können, sondern im Sinne Luhmanns eine „Komplexitätsreduktion“ bewirken. Dies hat jedoch zur Folge, dass Fachbereiche im Ranking sehr weit oben stehen, doch das spezifische Profil nicht wiedergeben und damit durch Indikatoren und Statistiken eine „neue Realität“ konstruiert wird. Eine Langzeitfolge ist, dass die Standorte, die in den Rankings oben stehen, selten ihre „gute“ Position verlieren, sondern sie hingegen festigen. Grund dafür ist, dass Bewertungen stark von der Reputation abhängen und wenn dann Befragungsteilnehmer/innen die Uni einschätzen sollen, orientieren sie sich meist an den Ergebnissen der Vorjahre. Somit reproduziert sich der Ruf und das Image einer Universität bzw. eines Fachbereiches recht stark selbst. Münch untermauerte dies noch mit einer Studie aus den USA. In diese wurde durch Befragungen an den TOP 20 Departments für Soziologie herausgefunden, dass diese 20 Departments 80 Prozent der Promovierten unter sich austauschen und dass die 20 führenden Departements 74 Prozent aller Professorenstellen besetzten; bei insgesamt 94 Departments. Wie Münch festhielt, bilden sich ein Kern und eine Peripherie heraus, welche nicht geografisch, sondern zumeist durch Reputation bestimmt werden.
Diese Konzentration auf die vermeintliche akademische Elite wird in Deutschland durch die Mittelvergabe noch weiter verstärkt. So werden nur noch 56,2 Prozent der öffentlichen Mittel an die Hochschulen gegeben, aber schon 16,7 Prozent an die Helmholtz-Zentren oder 7,2 Prozent an die Max-Planck-Gesellschaft. Diese Tendenz spiegelt sich auch in der Veränderung der Höhe der Dritt- und Grundmittel wieder. So erhöhten sich die Drittmittel von 1980 zu 2003 um das 6,5-fache, die Grundmittel im selben Zeitraum nur um das 2,6-fache. Die bestehenden Ungleichheiten werden demnach, wie Münch sagte, durch den Wettbewerb nicht aufgehoben, sondern zementiert. Die Exzellenzmittelvergabe bildet da keine Ausnahme, d. h. nach dem Matthäus-Prinzip „Wer hat, dem wird gegeben.“. Abschließend bezeichnete Richard Münch diesen Prozess als „Über-Investition“ an der Spitze und „Unter-Investition“ bei der breiten Masse.
Es lässt sich somit festhalten, dass die deutsche Hochschulpolitik unter dem Deckmantel des Wettbewerbs ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen den „Leuchttürmen“ der deutschen Wissenschaftslandschaft und Ausbildungsuniversitäten schafft. Durch die Exzellenzinitiative und die fehlende Ausfinanzierung der Hochschulen durch Bund und Länder gelingt ihr das auch zunehmend. Linke Hochschulpolitik muss deshalb zum Ziel haben, eine Anerkennung aller wissenschaftlicher Leistung zu gewährleisten und die Forschungsgemeinschaft nicht in „exzellent“ und „Nicht-exzellent“ zu unterteilen. Außerdem muss die ökonomische Verwertungslogik aus dem akademischen Betrieb zu entfernen. Dieser Wettbewerbsgedanke ist grundlegend für alle Forschung, weil jede/r Forscher/in nach neuen Erkenntnissen sucht. Doch dürfen finanzielle Anreize bzw. Sanktionen weder die Forschung lenken, noch dürfen durch Druckmechanismen Forschungsvorhaben behindert oder ausgeschlossen werden. Gerade die Vielfalt zeichnet die Wissenschaft aus und diese muss auch weiterhin erhalten bleiben.

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