Fundstück der Woche: Antispeziesismus von Matthias Rude
Mein Fundstück der Woche: Antispeziesismus
von Matthias Rude
„In die Sphäre des Natürlichen, die es zu beherrschen gilt,
fallen traditionell nicht nur die zu beherrschende Frau und der zu
unterjochende Fremde: Der Prozess der Zivilisation hatte auch die
unbeschränkte ‚Versklavung der Kreatur‘ zur Folge; seit ihrem
Aufstieg zeigt die Spezies Mensch sich den anderen Arten als
‚furchtbarste Vernichtung‘“ (Horkheimer, Adorno).
In dem
190-seitigen Büchlein Antispeziesismus schildert Matthias
Rude die Grundlagen und die spannende historische Entwicklung der
Tierrechtsbewegung, die „vor der Öffentlichkeit verborgen und
systematisch unsichtbar gemacht“ wird. Theoretisch fundiert geht er
davon aus, dass die Befreiung des Menschen und die Befreiung der
Tiere miteinander einhergehen. Dabei existiert keine Priorität, denn
das eine sei ohne das andere in einer emanzipierten Gesellschaft
nicht möglich. Fleischessen sei auch nicht, wie häufig angenommen,
dem Menschen „naturgegeben“, wie viele Traditionen des
Hinduismus, Buddhismus, Janismus und des Christentums beweisen.
Rudes
Argumentation ist in den Grundzügen materialistisch: Er geht davon
aus, dass die Ausbeutung der Tiere wie die Ausbeutung der Menschen
mit der ursprünglichen Akkumulation Anfang des 16. Jahrhunderts
begann, als in England Bäuer_innen enteignet und Ackerland zu
Schafweide gemacht wurde – laut Marx der Beginn der
kapitalistischen Produktionsweise und der Ausbeutung der
Arbeiter_innen.
Mit der
Ausbeutung der Tiere und Menschen begann auch die Solidarität mit
ihnen: Schon in der Englischen Revolution im 17. Jahrhundert galt
Fleisch als Symbol des Adels und der Herrschenden. Der Verzicht auf
jenes drückte Solidarität mit den unteren Schichten und dem
„Arbeitstier“ aus. Während der englischen Besatzung Indiens, den
Anfängen der Französischen Revolution und im Zuge der
Anti-Sklaverei-Bewegung in den USA im 18. Jahrhundert gab es ähnliche
Solidaritätsaktionen mit den Ausgebeuteten. Viele treibende Kräfte
der Pariser Kommune waren Vegetarier_innen und stellten sich diese
Lebensweise ebenfalls für die Kommune vor. Ebenso finanzierten die
Mitglieder des historischen antifaschistischen Kampfbundes ISK, die
alle Vegetarier_innen waren, ihren Widerstand gegen Hitler aus den
Gewinnen von vegetarischen Restaurants in ganz Deutschland. Damit ist
die historische Bedeutsamkeit der Tierrechtsbewegung nur in kleinen
Teilen umrissen.
So beschäftigten
sich auch zahlreiche historische Theoretiker_innen und
Schriftsteller_innen schon früh mit dem ambivalenten
Mensch-Tier-Verhältnis. Doch sind diese Gedanken heutzutage in
Vergessenheit geraten oder nie gehört worden. Dabei gab es namhafte
Vertreter_innen, wie unter anderem Pythagoras, Rousseau, John Stuart
Mill, August Bebel, Tolstoj, Rosa Luxemburg, der Kritischen Theorie
(Adorno und Horkheimer), die Tierquälerei anprangert haben oder
sogar Vegetarismus/Veganismus als eine Lösung des Problems
vorschlugen.
Matthias Rude
sieht die Ursache der Ausbeutung der Tiere hauptsächlich in den
ökonomischen Verhältnissen und kritisiert große Teile der heutigen
vegetarisch/veganen Szene, die nicht nur wahnsinnig heterogen und
teils zerstritten sind, sondern auch das Anliegen der Tierrechte eher
aufgrund eines gewissen „Lifestyles“ heraus vertreten.
Alles in Allem:
Ein wahnsinnig spannendes Buch, liest sich schnell und gut. Rudes
recht materialistische Kritik ist natürlich diskussionswürdig.
Dennoch war mir persönlich nicht bewusst, dass
Tierrechtsbestrebungen nicht nur ein Resultat der heutigen westlichen
„Luxusgesellschaft“ sind, sondern schon sehr lange Anliegen
emanzipatorischer Bewegungen, wie der Frauen- und
Arbeiter_innenbewegung waren. Die Bedeutung der Gleichrangigkeit von
Rassismus, Sexismus und Antispeziesimus wird meines Erachtens nach in
linken Kreisen häufig vergessen. Dieses Buch regt zur dringend
notwendigen, erneuten Aufrollung des Themas an.
„Alles,
alles muß befreit werden, die Geschöpfe und die Welt, wer weiß,
vielleicht die Welten? Wilde, die wir sind“ (Louise Michel,
Vegetarierin und Anführerin der Frauenkampftruppen der Pariser
Kommune).
Quelle:
Rude, Matthias: 2013: Antispeziesismus. Schmetterling Verlag.
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