Offener Brief II



“Die Oberen sagen: Frieden und Krieg sind aus verschiedenem Stoff. Aber ihr Friede und ihr Krieg sind wie Wind und Sturm. Der Krieg wächst aus ihrem Frieden, wie der Sohn aus der Mutter, er trägt ihre schrecklichen Züge. Ihr Krieg tötet, was ihr Frieden übriggelassen hat” (Bertolt Brecht).

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Varwick,

mit einer Antwort voller pauschalisierender Kritik und Euphemismen haben wir gerechnet. Krieg als politisches Mittel mag früher eine legitime Option gewesen sein, ist heutzutage jedoch stark begründungsbedürftig. Das wissen Sie. Daher sprechen Sie von einer „Kultur des Engagements“ und „Verantwortung“, anstatt die Sachen beim Namen zu nennen: Krieg, die Aufrechterhaltung der internationalen Ordnung zur Sicherung nationalstaatlicher Interessen, seien es politischer oder primär ökonomischer Art.

Aber jetzt zur Replik. Sie kritisieren erstens, dass bei Ihnen inhaltliche Positionen mit Namen versehen sind, an die man sich wenden kann, wir uns jedoch hinter einer Gruppe verstecken würden. Was sie nicht erwähnen, sind die Machthierarchien und -abhängigkeiten die zwischen uns und Ihnen bestehen. Wir sind alle Studierende, die teilweise auch bei Ihnen Politikwissenschaft studieren. Die Angst vor Nachteilen und Bloßstellung ist keine imaginäre. Auch Ihr Hinweis darauf, dass Sie genügend Raum für kritische Fragen bieten, der durchaus genutzt wurde, verkennt, dass es eben ein Unterschied ist, ob in den letzten zehn Minuten einer Vorlesung etwas erwidert werden kann oder man als Professor eine Vorlesung vor mehreren hundert Studierenden hält und das jede Woche. 

Sie behaupten als zweites, dass Ihre privaten parteipolitischen Positionen nicht die geringste Rolle in ihrer akademischen Lehre spielen würden. „Ich hingegen bin Wissenschaftlicher“, schleudern Sie uns mit Verachtung entgegen. Ihre Vita als Folie für ihre Lehre beweist zudem das genaue Gegenteil. Die Bezüge zur Bundeswehr und militaristischen Organisationen haben wir bereits im ersten offenen Brief aufgeführt. Die Zeitschrift, in der Sie publiziert und dabei für eine „Kultur des Engagements“ geworben haben, bezeichnen Sie euphemistisch als „sicherheitspolitisches Fachmedium“. Das Magazin selbst nennt sich führende Monatszeitschrift für Sicherheitspolitik und Wehrtechnik.

In dieser Zeitschrift werden Waffen beworben. Deutschland ist der drittgrößte Waffenexporteur weltweit (2013: Exporte im Wert von 5,8 Mrd. Euro) und liefert auch in Länder, in denen internationale Menschenrechtsstandards nicht eingehalten werden, in Bürgerkriegs- und Krisengebiete. Angesichts der friedenspolitischen Risiken ist eine politische Kontrolle und Einhegung des globalen Waffenhandels notwendig. An dieser Stelle sei William Booth zitiert: "Waffen gegen den Krieg, ist wie Schnaps gegen Alkoholismus". Waffen bringen keinen Frieden, das ist keine „linke Propaganda“, sondern empirisch nachweisbar. Genannt seien die Kriege im Irak und Afghanistan, die zu keinerlei Besserung der politischen und sozialen Lage in den Ländern geführt haben. Die entscheidende Frage sollte viel eher lauten: Welcher Krieg hat bewiesen, dass es "richtig" war, ihn zu führen? Hier verstummen die AkteurInnen, die für eine "Kultur des Engagements" plädieren. 

Ihre Lehre ist nicht ausgeglichen. Wenn Sie in einer Vorlesung über Außenpolitik, in der Sie den Inhalt ihres Beitrags für das Wehrmagazin referierten - so viel zur wissenschaftlichen Distanz - keinen Einsatz der deutschen Bundeswehr erwähnen, sondern nur für "mehr (militärische) Verantwortung“ plädieren, ist das nicht ausgeglichen. Entwicklungspolitik als Mittel der Außenpolitik sucht man in ihren Vorlesungen hingegen vergebens. Auch die Auswahl der Übungstexte zeigt ihre politisch einseitige Lehre. Warum muss es gerade ein Text sein, der ohne die von Ihnen verwendeten Euphemismen für mehr militärische Beteiligung der Bundeswehr plädiert? Den Sinn der Anwendung einer theoretischen Denkschule als Übungsaufgabe hätte durchaus anders und mit mehr wissenschaftlicher Distanz erfüllt werden können. Eine ausgeglichene Lehre der Internationalen Beziehungen sollte verschiedene Perspektiven gleich gewichten. 

Nun mögen Sie sich bisher sicherlich eine Menge geärgert haben und vermutlich fragen Sie sich auch schon gar nicht mehr, was jenes mit einer angeblichen Militarisierung des Lehrstuhls zu tun haben soll. Wir wollen es Ihnen trotzdem noch mit auf den Weg geben: Sie formen durch den Inhalt Ihrer Vorlesungen Normen, Werte und Ideen und verfügen dabei durch Ihre Position über eine Diskurshoheit, die von Studierenden kaum in Frage gestellt werden kann. Mehrere hundert Studierende sind jährlich dazu verpflichtet, sich ihre Vorlesungen anzuhören und müssen den Inhalt aufgrund immer weniger Zeit im Bachelor- und Master-System oft einfach hinnehmen und für Prüfungen stur auswendig lernen. Wir unterstellen unseren KommilitonInnen nicht, dass sie nicht selbst reflektieren könnten, sondern ob dafür die Zeit vorhanden ist. Durch eine plurale Darstellung des Lehrinhalts in der Vorlesung, wie es der Beutelsbacher Konsens vorsieht, würden Sie eine reflektierte und kritische Reflexion fördern, die Sie sich bei Ihren Studierenden so sehr wünschen. Sie betreiben durch ihre derzeitige Lehre eine Militarisierung der Köpfe, wodurch Krieg und Militär als legitime Mittel für die Vertretung staatlicher Interessen erscheinen. 

Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!

Mit antimilitaristischen Grüßen

SDS.Die Linke MLU


                              


Kommentare

  1. Sehr schön, gebt ihm ordentlich paroli, unserem liberalen "Lieblings"-Prof. Wird sein Selbstbewusstsein wahrscheinlich kaum ankratzen, kostet ihm aber Zeit, Nerven und einen kurzfristig hohen Blutdruck.

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  2. Herr Varwick lässt nichts aus. Nun berät er unsere Kriegsministerin von der Leyen bei der Erstellung eines neuen Weißbuches, also der neuen Strategieschrift für unsere Bundeswehr: http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/!ut/p/c4/NYw9D4JAEET_0S5EEz86kcbWaAS741hhA9xdluVo_PEehTPJFO8lg29MdSZyZ5S9MyNWWFs-Nys0U-xgJZ7nZrE9BJI50KAcyUEwoi4B25uPksPXdtMSWO9It01QOW0nRr1A8KLjZhaRZIBbrLO8LLI8-yf_nh7P67Ha7Q_lrbhjmKbLD_oXCE4!/

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