Spaltung ja – aber von wem?

tl;dr: Die Gruppe rund um Sahra Wagenknecht spaltet sich von der LINKEN ab und die Empörung ist groß. Aber sind diejenigen, die z.B. in Sachsen-Anhalt Wagenknecht und ihre Anhänger*innen jahrelang hofiert haben, jetzt auch bereit, endlich Konsequenzen zu ziehen und sich zukünftig gegen reaktionäre Einzelgänge zu stellen? Der SDS bezweifelt es, fordert es aber umso stärker ein.

Amira Mohamed Ali hat als noch amtierende Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Bundestag zuletzt erneut deutlich gemacht, warum sie als Parteigängerin Sahra Wagenknechts gilt: So machte sie mit ihrer Aussage, dass die parlamentarische Zusammenarbeit zwischen CDU, FDP und AfD in Thüringen aus ihrer Sicht kein Problem sei deutlich, dass Antifaschismus als „wokes“ Element kein Teil ihrer „links-konservativen“ Richtung sein kann. Der weltanschauliche Hintergrund ist dabei klar: Aus deren Sicht ist die Wahl einer faschistischen Partei dadurch vergleichsweise unproblematisch, da das „einfache Volk“ diese ja als Abwehrreflex gegen kapitalistische Zumutungen wählen würde und diese eben nicht in der Machtposition wären. Die Macht hat dagegen die Ampel und das Kapital und beide würden das Horrorbild der AfD nutzen, um Ausbeutung und/oder Dummheit weiterhin über das Land zu bringen.
Damit steht die Wagenknecht-Gruppe, zu der neben kalkulierenden Funktionär*innen auch wirklich abgedrehte Leute wie Andrej Hunko oder Alexander S. Neu zählen, allerdings nicht alleine da: Genau diese Position finden wir in der Springer-Presse, die dem „Elfenbeinturm“ die Schuld am Aufstieg der AfD gibt sowie in der konservativen Politikwissenschaft, die glaubt, reaktionäre Wähler*innen müssten dann auch durch reaktionäre Politik abgebildet werden, um sie von den „extremen Rändern“ zurückzuholen. Der Unterschied besteht allein in der Färbung: Die Wagenknecht-Leute meinen pflichtschuldig das „Großkapital“, die Springer-Leute die „Bionade-Bourgeoisie“ – beides ist keine Analyse von Kapitalfraktionen, sondern macht den „kulturellen Faktor“ zum Dreh- und Angelpunkt der verunglückten politischen Ökonomie. Es ist ironisch und bezeichnend, dass die selbsternannten Fürsprecher*innen einer neuen „Klassenpolitik“ deshalb nicht nur eine große Nähe zu den nationalliberalen Teilen der FDP haben, sondern v.a. über „deutsche Unternehmen“ und die drohende „Deindustrialisierung“ reden, wenn sie die Verdorbenheit der Ampel-Regierung ankreiden. In abgeschwächter Version erkennen wir das auch bei denjenigen, die nichts mit Wagenknecht und Co. zu tun haben und damit seriöser sind. Ob die Massen aber auf eine „industriepolitisch“ versierte Sozialdemokratie gewartet haben, würden wir bezweifeln – und auch, ob es tatsächlich eine linke Volte sein kann, für die neoliberalen „Bidenomics“ zu trommeln.
Wagenknecht selbst ist schon Anfang der 2010er-Jahre auf diese strategische Ausrichtung gekommen, denn zu dem Zeitpunkt hat sie angefangen, den Ordoliberalismus zu verteidigen und den 1950er-Jahren mit einem mächtigen Kartellamt und produktiven Industriekapitänen hinterherzutrauern („Freiheit statt Kapitalismus“, 2011). Öffentlich zementiert wird die Auffassung, es bräuchte den Kapitalismus der 1950er-Jahre zurück, dann im Buch „Reichtum ohne Gier“ von 2016, in dem sie u.a. den vermeintlichen Wert des Nationalstaates betont. Begleitet wurde die wirtschaftspolitische Fokussierung auf den Ordoliberalismus mit dem Versuch, ein kulturelles und gesellschaftspolitisches Bündnis zu errichten, um mit den eigenen Vorstellungen hegemonial zu werden. Konkret heißt das, dass Wagenknecht die Überzeugung vertritt, für einen wirtschaftspolitischen Kurs der 50er bräuchte es auch einen gesellschaftspolitischen Kurs der 50er bzw. einer Konstruktion davon. Deshalb gibt es ultra-peinliche Bilder mit ihr und Leuten wie Peter Gauweiler (äußerst rechter CSUler), deshalb tritt sie für sehr viel Geld bei irgendwelchen Banken auf oder wirkt so, als würde sie sich mit dem rechtsliberalen Menschenfeind Wolfgang Kubicki prächtig verstehen (wobei wir das gar nicht bezweifeln würden).
Gegen die Strategie, wirtschaftspolitische und andere Faktoren aufeinander zu beziehen und eine kulturelle Hegemonie zu erobern, spricht natürlich nichts. Deshalb wurde Wagenknecht fälschlicherweise  immer wieder mit den Projekten von z.B. lateinamerikanischen Linken oder von Jean-Luc Mélenchon („La France insoumise“) in Verbindung gebracht. Wo aber diese Projekte tatsächlich mit einem Klassenbegriff operieren und die Arbeiter*innen nicht nur als „anti-woke“ Monstranz vor sich hertragen, macht Wagenknecht das Gegenteil: Wenn sie „das Volk“ sagt ist das keine Abwandlung von „Klasse“ oder im Sinne der französischen Revolution, sondern meint das Konstrukt des reaktionären, neoliberal zugerichteten Angestellten, der seinen BRD-Wohlstand durch ausgefahrene Ellenbogen erkämpft hat und nun jede gesellschaftliche Veränderung hasst, weil er seinen Standort auf der sozialen Leiter wahlweise durch seinen Abstieg oder den Aufstieg anderer gefährdet sieht. Sie meint den Patriarchen mit SUV und Einfamilienhaus, der nicht arm, aber von Krisen potentiell bedroht ist und deshalb umso mehr diejenigen hasst, die „von unten“ nachkommen könnten. Es geht bei Wagenknecht nicht um das „Aufstehen“ gegen den Neoliberalismus, sondern um das reaktionäre Einrichten darin, um mit der daraus gewonnenen politischen Macht irgendwann Grenzen gegen den internationalen Kapitalismus einziehen zu können.
Tragischerweise war Wagenknecht damit in der LINKEN in gleich drei Richtungen bündnisfähig: Zum ersten in Richtung der „Revolutionäre“, also derjenigen, die gegen Regierungsbeteiligungen getrommelt haben und Zusammenarbeit mit SPD und Grünen als Verrat ansehen. Ihnen bietet Wagenknecht eine Verbindung der wirtschaftspolitischen Globalisierungskritik mit der außenpolitischen Kritik an der Westbindung und außerdem eine deutlich konfrontativere Stellung zu möglichen Regierungspartner*innen an. Wer bei YouTube erzählt, die potentiellen Koalitionspartner*innen seien einfach von sich aus bösartig, kann sich empörter Reaktionen von Sozialdemokrat*innen sicher sein, die dann einen prächtigen Grund gefunden haben, der Vorstellung linker Politik mal wieder geschickt zu entgehen. Zum zweiten war sie bündnisfähig in Richtung der „Reformer*innen“, die z.B. in Sachsen-Anhalt dominant sind. Hier bietet Wagenknecht die Fokussierung auf „reale Themen“ an. Mit ihr muss man nicht über die Frage reden, wie man das mit der Revolution jetzt macht, wie Machtverhältnisse in den eigenen Strukturen wirken (z.B. bei Menschen, die seit über 30 Jahren in Führungspositionen sind) oder wie die Menschheit nur aus der kapitalistischen Scheiße herauskommen soll, sondern kann sich auch im Kampf für die Vermessungsordnung als Volkstribun feiern und dann der linken Szene, die sich bekanntlich nur mit Quatsch beschäftigt, noch schön auf den Kopf spucken. Zum dritten war sie bündnisfähig für einige Ex-SPDler*innen, die z.B. mit Lafontaine zur WASG gekommen sind. Hier setzte man schon lange auf Asylkompromiss und Abschottung und konnte sich bei Wagenknecht direkt heimisch fühlen. Alle drei Richtungen haben natürlich einen Punkt: Die Regierungsbilanz der Linkspartei ist vielerorts katastrophal, aber kleine Erfolge können eher errungen werden als die Weltrevolution in der „V. Internationale“ und eine richtige Sozialdemokratie wäre schon gar nicht übel. Der Strategie von Wagenknecht (und Co.) gelang es aber, die reaktionärsten Elemente dieser Parteirichtungen hervorzubringen: Revolutionäres Verschwörungsdenken, reformerischer Autoritarismus und keynesianisches Wutbürgertum bildeten dann ihre engsten ideologischen Wegbegleiter*innen und viele gehen diesen Weg bis heute mit bzw. haben erst dann den Absprung geschafft, als es schon viel zu spät war.
Diese Bündnisfähigkeit trägt ein gehöriges Maß der Schuld an der inhaltlichen Krise der Linkspartei, denn sie hat dafür gesorgt, dass die traditionellen Strömungen, so viel sie mit ihrer Vereinsmeierei auch genervt haben mögen, komplett zerfallen sind. Die Gruppe rund um Wagenknecht hat die alten Kämpfen zwischen „Reform“ und „Revolution“ ersetzt durch die Frage „Woke” oder „Anti-Woke“ und ein Großteil des Parteilebens damit ohne jede organisierte Meinungsbildung hinterlassen. Prominentester Ausdruck dieser Krise war das sogenannte „Hufeisen”, also das vielfach besprochene Bündnis zwischen Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht, welches natürlich die Stabilisierung der Fraktion zum Ziel hatte, damit aber vor allem die Sicherung des Zugriffs auf die Ressourcen meinte. Die ehemalige KPF-Funktionärin Wagenknecht und der „Minister in spe“ Bartsch konnten sich seit 2016 über ihre Feindlichkeit gegenüber den „Bewegungen“ annähern und so saßen sie auch einträchtig nebeneinander, als Sahra Wagenknecht Geflüchteten ein fiktives „Gastrecht“ absprach und die reaktionären Angriffe auf das Parteiprogramm begann.
Inzwischen löst sich das Hufeisen auf, genau wie die Bündnisfähigkeit der Gruppe an sich, was (leider) vor allem am Druck von außen liegt. Zwar spielt auch der massenhafte Austritt von Mitgliedern der LINKEN eine Rolle, aber die innerparteilichen Proteste haben es nicht getan. Vielmehr erscheint vielen MdBs, MdEPs, MdLs und Minister*innen vor allem wichtig, was die bürgerliche Presse von ihnen hält und so waren es nicht die rassistischen Aussagen von Wagenknecht, die das endgültige Zerwürfnis brachten (denn Rassismus gegen Geflüchtete ist in Deutschland Staatsräson), sondern die Aussagen zum Angriffskrieg auf die Ukraine. Diese sorgten völlig zu Recht für Empörung, auch wenn einigen Kritiker*innen eben anzumerken war, dass ihre Empörung auf der Verletzung „demokratischer Werte“ basiert, die quasi ein höheres Gut berühren als eben die universellen Menschenrechte. Ihre recht explizite Haltung gegen die (Selbst-)Verteidigung der Ukraine verschaffte der Linkspartei einen massiven Shitstorm in den Medien, die für die Abgeordneten zählen, und Wagenknecht gleichzeitig neue Beliebtheit bei denjenigen, die mit der Linkspartei sonst nichts zu tun haben wollen. Jedenfalls war dann denjenigen, die noch etwas werden wollen, klar, dass das Bündnis so nicht aufrechtzuerhalten ist, während parallel dazu im Parteivorstand von neuen Leuten Druck gemacht wurde, der mehr zufällig damit zusammenfiel und das jetzt vorliegende Ergebnis mit sich brachte, was erst dann finalisiert ist, wenn Wagenknecht und Co. nicht mehr in der Partei sind.
Dieses Ergebnis hätte man allerdings viel früher haben können, wenn man sich an Parteitagsbeschlüsse gehalten und diese durchgesetzt hätte. Letzteres wurde allerdings stets mit dem lächerlichen Hinweis auf eine Ablehnung von „Parteisäuberungen“ gekontert – als hätte die SED demokratisch gefällte und breit getragene Beschlüsse durchgesetzt. Darüber hinaus fällt es denjenigen, die sich im Parlamentarismus eingerichtet haben, immer wieder sichtlich schwer, die Notwendigkeit von Verantwortlichkeiten einzusehen. Denn wenn Wagenknecht sich für ihre eigenmächtigen Vorstöße verantwortlich zeichnen muss, wieso sollten sich dann nicht auch lokale MdBs vor ehrenamtlichen Kreisvorständen oder gar Basisversammlungen verantworten müssen (und zwar so konkret, dass es Einfluss auf ihre Entscheidungen hat)? Genau das ist aber bis heute nicht erwünscht, weshalb die Linksfraktion auch immer wieder zur Bühne für die Gruppe rund um Wagenknecht wird, obwohl die Spaltung bereits beschlossene Sache zu sein scheint. Deshalb gibt es Events mit Wagenknecht, Amira Mohamed Ali ist noch Fraktionsvorsitzende und auch Dietmar Bartsch äußert regelmäßig das Gegenteil von dem, was der Bundesvorstand von sich gibt, z.B. mit seiner Verurteilung der „Letzten Generation“ oder seiner Verteidigung der Polizei. Aber dieses Problem gibt es auch vor Ort: So hat die Landtagsfraktion immer wieder darauf verzichtet, sich an Parteitagsbeschlüssen zu orientieren und ist lieber der Eingebung einzelner MdLs gefolgt. In Halle füllte der Konflikt zwischen Stadtvorstand (und uns) sowie der Stadtratsfraktion rund um den Auftritt des rechtsextremen Komikers Uwe Steimle einige Wochen die Lokalpresse. Die demokratischen Gremien der Partei werden dabei von Mandatsträger*innen ignoriert, da man ja „vom Volk“ gewählt wurde. Das entspricht auch der parlamentarischen Ideologie, aber sorgt in dieser Konsequenz dafür, dass man dem Phänomen Sahra Wagenknecht exakt nichts entgegenzusetzen hat.
Und genau deshalb greifen wir es an dieser Stelle auf: Etliche Mandatsträger*innen, die niemals auf die Idee einer Verantwortlichkeit gegenüber der Partei kommen würden, sehen, wie Sahra Wagenknecht den Fortbestand des linken Projektes innerhalb von staatlichen Gremien überhaupt gefährdet. Und viele von ihnen haben dabei die letzten acht Jahre zugesehen, Wagenknecht und ihre Anhänger*innen immer wieder für höchste Posten nominiert und gewählt und Kritiker*innen abgeblockt. 2021 wurde Wagenknecht selbst noch von der Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt eingeladen. Sie haben sich auch nicht an Parteitagsbeschlüsse gehalten und dafür die reaktionäre Show von Wagenknecht verharmlost und/oder verteidigt. Parallel gibt es seit spätestens 2016 immer wieder Initiativen innerhalb und außerhalb der Partei, die darauf hingewiesen und eine Änderung der (Personal-)Politik verlangt haben – zum Teil auch äußerst energisch. Das betrifft vor allem die Linksjugend, Teile des SDS, aber eben auch antifaschistische, antirassistische und queer-feministische Gruppen. Und die Gruppen, selbst wenn sie radikale Ansprüche hatten und ausschließlich außerparlamentarisch organisiert waren, wollten sie von der Linkspartei eigentlich nur die Durchsetzung ihrer eigenen Beschlüsse. Absurd – aber so ist es bis heute.
Kern unseres Textes ist es also, denjenigen, die jede Kritik an Wagenknecht mit Freude ignoriert haben, Konsequenzen mit einer angeblichen SED-Reflexion bis heute abwehren und einer Demokratie in der Partei im Wege stehen, deutlich zu machen, dass selbst nach dem Ende der Gruppe rund um Wagenknecht und einem möglichen Überleben der Linkspartei, eine weitere Spaltung nicht vom Tisch ist. Zum einen birgt genau dieses Verhalten immer wieder genau den Sprengstoff für das nächste Zerwürfnis, zum anderen werden auch die letzten Reste der Aktiven nicht mehr dafür herhalten, die Tradition des „Hufeisens“ über sein eigentliches Ende hinaus fortzuführen. Denn mit dem dabei bleiben in einer Situation, die man nicht einmal mehr als verfahren bezeichnen kann, zeigen diese, dass Durchhalteparolen oder Appelle an die Gemeinsamkeit für sie keinen Wert mehr haben und die Mehrheit nicht mehr davon abbringen werden, auf Konfrontationskurs mit den bürgerlich-parlamentarischen Überbau zu gehen. Darin liegt aus unserer Perspektive auch die einzige Hoffnung für die Linkspartei: Ein kräftiger Linksruck, der auf dem letzten Landesparteitag in Sachsen-Anhalt schon andeutungsweise zu spüren war, kombiniert mit einer grundsätzliche Kritik an Mandaten, ihren Träger*innen und dem Art des Umgangs damit.
Sollte das nicht gelingen, dann wird nur noch reines „Wahlglück“ für eine Verlängerung des Experiments DIE LINKE sorgen können – nur um dann wieder genug Leute anzuziehen, um das Stück auch noch einmal von vorne aufzuführen. Vielleicht geht es dann ja ins Steintor-Varieté, wo Wagenknecht am 19. Oktober einen Auftritt hat und aus ihrem Buch liest. Wie wir aus dem Steimle-Streit wissen, ist ein (parteiloser) Stadtrat der Linksfraktion einer der Geschäftsführer des Varietés. Das Stück hat also noch Platz für Tiefen.


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