Fundstück der 4. Kalenderwoche 2011

Hartz IV und wie man sich die Welt passend rechnet

(fl) Dass die Neuberechnung der SGB II-Regelleistung (Hartz IV genannt) umstritten war, ist ja nichts Neues, vor allem im Hinblick auf die Debatte um die Bedarfsberechnung für Alkohol und Tabak. Aber wie uns der Paritätische Wohlfahrtsverband zeigt, scheint das noch weit untertrieben. Denn laut "Süddeutscher Zeitung" hat er auf der Grundlage neuen Datenmaterials, welches das Arbeitsministerium im Hartz-IV-Vermittlungsausschuss der Opposition zur Verfügung gestellt hat, seine eigenen Berechnungen vorgenommen. Bestätigt wurde dies auf Anfrage auch durch den „SPIEGEL ONLINE“. Diesen Berechnungen zufolge würden den erwachsenen Hartz IV-EmpfängerInnen nicht 364 Euro zustehen, wie Ende 2010 im Bundestag beschlossen, sondern 394 Euro.


Die Höhe der SGB II-Regelleistung beruht auf Berechnungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamts, bei der etwa 60.000 Privathaushalte über ihre Einkünfte, ihr Vermögen und Verbrauchsverhalten befragt werden. Die Regelleistung wird dann aus den verschiedenen Ausgaben und in einer entsprechenden Höhe zusammengesetzt. Dabei wurden bisher die untersten 20 % der nach Einkommen geschichteten Ein-Personen-Haushalte der EVS als Referenzgruppe herangezogen. Wobei sowohl bei der alten Variante als auch bei der 2010 beschlossenen Neuberechnung die abgezogen wurden, die vollständig auf Sozialleistungen angewiesen sind. Aber die 2010 beschlossene Neuberechnung hat nur noch die untersten 15 % als Vergleichsgruppe berücksichtigt, kritisieren der Wohlfahrtsverband und die Opposition. Außerdem verlangen die SPD-geführten Bundesländer, dass auch die so genannten „AufstockerInnen“ herausgerechnet werden, also jene, die trotz Erwerbsarbeit zusätzlich Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssen.

Anhand dieser nicht nur neuen Erkenntnisse errechnete der Wohlfahrtsverband die höheren Hartz IV-Regelleistungen. Gleichwohl hieß es aus dem Arbeitsministerium, dass die bisherigen Berechnungen „unbestechlich“ seien und die Veränderung der Referenzgruppe mit der Herausnahme der SozialhilfeempfängerInnen begründet ist. Allerdings hat auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Hartz-IV-Leiturteil vom 09.02.2010 deutlich gemacht, dass die Herausnahme notwendig sei, um Zirkelschlüsse zu vermeiden. Deshalb erscheint die Frage berechtigt, ob hier erneut nach Kassenlage gerechnet wurde, was schon das BVerfG-Urteil über die Erstberechnung der Regelleistung bemerkte, aber dann doch verwarf. Es ist zu hoffen, dass, falls es bei der 15%-Referenzgruppe bleibt, das BVerfG bei einer erneuten Entscheidung das Hartz IV-Gesetz wieder für verfassungswidrig erklärt.

Für Studierende ist dieses Thema insofern von Bedeutung, als dass sie beispielsweise bei einer Beurlaubung und anderen besonderen Situationen auch Anspruch auf SGB II-Leistungen haben können. Das Problem ist aber, dass bestimmte Ausgaben von Studierenden in der Regelleistung nicht berücksichtigt werden und auch nicht in dem sogenannten „Bildungspaket“ für Kinder (z.B. Ausgaben für Semesterbeiträge oder Bücher). Deshalb schließt sich der SDS MLU der  Mindestforderung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und der Opposition an, auch wenn darüber hinaus eine höhere Regelleistung wünschenswert wäre.


- http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,739282,00.html
- http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/hartz-iv-keine-einigung-ueber-neue-regelsaetze-in-sicht_aid_590477.html
- http://www.welt.de/politik/deutschland/article12126628/Wohlfahrtsverband-berechnet-hoeheren-Hartz-IV-Satz.html
- http://www.morgenpost.de/politik/article1510746/Opposition-will-neue-Berechnung-fuer-Hartz-IV-Saetze.html
- http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/ls20100209_1bvl000109.html
- http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/abisz/Einkommens__Verbrauchsstichprobe,templateId=renderPrint.psml

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