Fundstück der 15. Kalenderwoche

(sw) Während in den Medien über den libyschen Bürgerkrieg (mit NATO-Beteiligung, was die Bezeichnung "Bürgerkrieg" ad absurdum führt) berichtet wird und auch die Lage im Atomkraftwerk Fukushima noch nicht als stabil bezeichnet werden kann, kann mensch in den Staaten der Europäischen Union eine langfristige Entwicklung beobachten, die nachdenklich und wütend macht. Ein Großteil der Jugend Europas ist erwerbslos, arm und stinksauer auf die jeweilige Regierung.
Genauer gesagt jede/r Fünfte (Eurostat Pressemitteilung 01.03.2011)! Während also deutsche Regierungspolitiker vom „Aufschwung XXL“ in Deutschland reden und über die Krise schwadronieren, als wäre sie schon Jahrzehnte her, bekommen junge Menschen die Sparzwänge, Kürzungen und gesteigerte Konkurrenz unter Erwerbstätigen immer heftiger zu spüren. Gerade die sogenannten PIIGS-Staaten (Portugal, Italien, Irland, Griechenland, Spanien) stehen hierfür exemplarisch. Spanien hat eine „offizielle Jugendarbeitslosigkeit von gut 43 Prozent“ und ist damit trauriger Spitzenreiter (Vogel 2011: 27). Wie Vogel weiter ausführt, wird Erwerbslosigkeit damit zum „tristen Normalzustand“ (ebd.). Daneben gibt es wie in Deutschland viele Prekärbeschäftigte, die entweder Zuschüsse vom Staat beantragen oder sich durch Freunde und Familie über Wasser halten müssen. Folgeerscheinungen wie das Sinken der Geburtenrate, Altersarmut und steigende Behandlungsfälle von psychischen Krankheiten sind da nicht verwunderlich (Staiger 2009: 15). Viele, meist Gut- bis Höchstqualifizierte, versuchen ihrer Not durch Emigration zu entfliehen, was wiederum in diesen Einreiseländer zu steigender Konkurrenz unter den Arbeitnehmer/innen, sinkenden Löhnen und vermehrter Annahme von schlecht bezahlten Arbeiten mit Zeitverträgen führt und noch führen wird. Vogel konstatiert hier eine „Entwertung von Bildung, Leistung und Qualifikation“ (2011: 29). Das jedoch auch ein Fachkräftemangel in Deutschland besteht, zeigt, dass eine einseitige Parteinahme nicht hilfreich ist und europäische Maßnahmen gefunden werden müssen (wie bspw. ein EU-weiter Mindestlohn und Arbeitnehmer/innenschutz), um das Problem zu lösen.
Diese Perspektive steht somit konträr zudem, was die Regierungsvertreter/innen der EU-Staaten proklamieren und sollte alle Menschen „aufhorchen“ lassen, was passieren wird, wenn Merkels Vorstellung einer „europäischen Schuldenbremse“ umgesetzt wird.

Hier gilt es in zwei Richtungen aktiv gegenzusteuern.
Nationalistische Tendenzen im Sinne des Schutzes des nationalen Arbeitsmarktes vor ausländischen Arbeitnehmer/innen sind nicht nur rassistisch und verkürzen bewusst das Denken. Sondern sie stellen das Handeln der Regierung nicht in Frage und schieben die Schuld auf das schwächste Glied der Kette. Dass diese rechtspopulistische Denkweise aber dem bürgerlichen Milieu und dem Neoliberalismus innewohnt, zeigen auf erschreckende Weise immer wieder Personen wie Thilo Sarrazin, Peter Sloterdijk, Guido Westerwelle oder Geert Wilders (Priester 2006 ; Lucke 2009).
Zum anderen gilt es eine Politik, die Menschen ausbeutet und Spardiktate aufsetzt, ohne an die absehbaren Folgen zu denken, zu ändern - und zwar nachhaltig. Und wenn sie sich nicht selbst ändert, wird sie geändert. Der folgende Satz des englischen Historikers Eric Hobsbawm sollte daher jeder/m im Ohr klingen: „Soweit ich weiß, gibt es keine Gesellschaft ohne den Begriff der Ungerechtigkeit. Und daher soll es auch keine geben, in der man sich nicht gegen sie auflehnt."

Quellen:
EUROSTAT Pressemitteilung vom 01.03.2011. Unter: http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_PUBLIC/3-01032011-AP/DE/3-01032011-AP-DE.PDF, zuletzt am 11. April 2011 geprüft.
LUCKE, Albrecht von 2009. Propaganda der Ungleichheit. Sarrazin, Sloterdijk und die neue „bürgerliche Koalition“. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 11/2009, S. 55-63.
PRIESTER, Karin 2006. Der Populismus des 21. Jahrhunderts. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 11/2006, S. 1219-1333.
STAIGER, Martin 2009: Kinderarmut kleingerechnet. In: Blätter für deutsche und
internationale Politik, 01/2009, S. 13-15.
VOGEL, Steffen 2011. Europas Jugend: Abstieg und Wut. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 04/2011, S. 27-30.

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