Es war einmal … Ein Verfassungsschutz

Erstveröffentlichung in der Jungen Welt vom 25. März 2013

Von Vincent Streichhahn

»Man kann gar nicht so viel fressen, wie man kotzen möchte«, meinte Bodo Ramelow, Fraktionsvorsitzender der Linkspartei in Thüringen, am Samstag abend in der Uni Halle. Bezogen war das auf Ergebnisse des Untersuchungsausschusses, den der Thüringer Landtag Anfang 2012 zur NSU-Mordserie eingesetzt hat. Was Ramelow bis dato nur ahnen konnte, hat er inzwischen Schwarz auf Weiß in den Akten nachgelesen. Der in der Thüringer Linkspartei installierte V-Mann muß da als Bagatelle erscheinen. Zum Beispiel hat der Verfassungsschutz zwei nach außen hin Badminton betreibende Clubs aufgebaut, um dort 50 Nazis das Kickboxen beizubringen. Danach sollten sie ein von Linken besetztes Haus stürmen. Alles fein säuberlich notiert.


Das war nur eine von vielen Anekdoten über faschistoide Verfassungsschützer. Erzählt wurden sie nicht von irgendwem, sondern der »geballten Kriminalität«, wie Ramelow sich und den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König bezeichnete. Gegen Ramelow läuft derzeit ein Verfahren wegen Rädelsführerschaft, gegen König eines wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Mit dem Verfassungsschutz verbindet den Politiker eine 30jährige Beziehung – so lange wird er vom Geheimdienst beobachtet. Gesammelt wurden so gefährliche Dinge wie eine Heiratsurkunde oder die Geburtsurkunde seines Sohnes. Für Ramelow ist das »Gesinnungsschnüffelei« nach dem Motto: Links steht der Feind und rechts die buckelige Verwandtschaft, die man sich nun mal nicht ausgesucht hat. Das paßte gut als Antwort auf den Titel der IG-Metall-Veranstaltung: »Auf dem rechten Auge blind: Akut entzündet oder chronisch krank?«

Zu den erwähnten Verwandtschaftsbeziehungen äußerte sich dann die Juristin Gabriele Heinecke. »Es ist an der Zeit, über Verquickungen des Verfassungsschutzes und faschistischer Organisationen nachzudenken«, sagte sie. Keiner der rund 40 Anwesenden mußte da lange grübeln. Es sei »ein Märchen, daß der Verfassungsschutz die Verfassung schützt«, schob Heinecke nach, einen Bruch mit seiner braunen Vergangenheit hätte es trotz vieler schöner Worte nie gegeben. Das war Konsens auf den Bänken des Hörsaals, wo einem Brechts »Anachronistischer Zug« in den Sinn kam: »Folgen, denn es braucht der Staat sie alle, die entnazten Nazi. Die als Filzlaus in den Ritzen aller hohen Ämter sitzen.« Viele rotierten erfreut in ihren Gräbern, als in den 90ern das Recht auf Asyl abgeschafft wurde. »Das Boot ist voll«-Kampagnen folgten, schließlich brannten Asylbewerberheime. Heinecke: »Der NSU ist nur logische Folge des Verfassungsschutzes, der seine Sympathien mit dem Nationalsozialismus nicht erkennen will.«

Für Ramelow ist in Sachen NSU alles klar: »Das ist kein Betriebsunfall, sondern Teil der Systematik, und daher gehört alles Geheime im Verfassungsschutz verboten.« Da bliebe nichts übrig. Der äußerlich an Karl Marx erinnernde Jugendpfarrer König gab sich etwas nüchterner: »Der Staat ist eine Machtanhäufung, und wenn er sich bedroht fühlt, dann schlägt er zu. Ich hatte nie Zweifel, daß er das auch heute tut.«

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