Richard Robert Rive - der hallesche Super-OB?

In Halle wird über den Oberbürgermeister (OB) gestritten – beziehungsweise: eigentlich streitet sich der suspendierte OB Wiegand mit den meisten anderen. Unterstützt wird er noch von seinen eingeschworenen Fans, Rechtsextremen und einem Teil der „Stadtelite“, also Unternehmern, konservativen Kulturleuten, irgendwelchen Vereinsdudes und so weiter. Der andere Teil findet ihn peinlich und (zurecht) undemokratisch, wobei Ersteres leider zu überwiegen scheint.

Das Besondere an dem Streit ist, dass sich für die meisten Bürger*innen überhaupt nichts verändert hat. Maximal kann man sagen, dass Egbert Geier als „Vertreter“ des OBs sich nicht bei Markus Lanz (wie Wiegand während der Impfaffäre) blamiert hat und insgesamt eher unauffällig ist. Auch hat er bis jetzt darauf verzichtet, die Menschen bspw. zur Unterstützung eines illegalen Damm-Baus aufzuhetzen oder sich von der AfD bewerben zu lassen.

Das folgt der Logik der Entpolitisierung der Debatte: Wiegands mutmaßliche Vergehen werden zum Ausdruck persönlicher (Nicht-)Eignung, auch wenn sie eigentlich politisch sind und seiner politischen Linie folgen, zu der seine Kritiker*innen eine Alternative aufbauen müssten. Da das z.B. bei Herrn Geier nicht sichtbar passiert, setzt Wiegand weiterhin auf seine „Persönlichkeit“, verkauft sich als Macher, schaffendes Genie und über der Politik stehenden Stadtvater, womit er sich in einer Reihe mit Richard Robert Rive (1864-1947) sieht und das den Hallenser*innen wortwörtlich vorspielt.

So gab es am 15. Juni 2023 z.B. einen „Rive-Abend“ bei dem Bernd Wiegand einen Schauspieler in der Rolle des ehemaligen Oberbürgermeisters Rive befragte (https://hallespektrum.de/nachrichten/glosse/anmassung-satire-oder-ahnenkult-ex-ob-wiegand-in-diskussion-mit-ex-ob-rive/436477/). Dabei ging es insbesondere um das „angespannte Verhältnis“ zwischen Rive und den Stadtverordnete, welches Wiegand schon 2016 dazu inspirierte, sich gegenüber dem Stadtrat mit Rive zu vergleichen und ihm den „Kampf“ zu erklären (https://dubisthalle.de/wiegand-rive-und-der-stadtrat). Man kann also ohne weiteres feststellen, dass die Veranstaltung „Bernd, Buch und Bürger“ ein Ausdruck dafür ist, dass sich Wiegand wirklich mit Rive identifiziert.

Und das ist keine schlechte Wahl: Denn Rive gilt in Halle eben wirklich als „Stadtvater“. So habe er die Geschicke der Stadt dreißig Jahre lang „geleitet“ (https://bernd-wiegand.de/wp-content/uploads/2023/06/BBB_flyer_2023_06_druck_NEU.pdf) und die Stadtgesellschaft durch Krisen und Kriege gebracht. Damit wird Rive, der von 1908 bis 1933 OB war, ebenso entpolitisiert und von allen Seiten fälschlich nicht als das wahrgenommen, was er tatsächlich war: Ein Mitglied einer pro-faschistischen Partei und ein Arbeiterfeind.

So trat Rive 1928 der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) bei, die zu Beginn der Weimarer Republik die Monarchie wiedererrichten und den Weltkrieg wieder aufnehmen wollte, dazwischen vor allem auf das Ermorden von Arbeiter*innen und Demokrat*innen setzte und ab 1928, also in dem Jahr der Mitgliedschaft Rives, auf ein Bündnis mit Adolf Hitlers NSDAP hinarbeitete. Das wird auch an dem Wahlaufruf der DNVP deutlich, den diese zur Reichstagswahl 1930 veröffentlichte und dem sie sich als „Kampfpartei“ gegen das „marxistische System“ versteht und sich auf ihren „nationalrevolutionären Angriffsgeist“ bezieht (https://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt4_h1_bsb00000005_00182.html). Im Wahlkampf setzte die DNVP auf offenen Antisemitismus und titelte beispielsweise „Wir bekämpfen die Auslieferung Deutschlands an das internationale Judenkapital“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Reichstagswahl_1930#/media/Datei:Bundesarchiv_Bild_183-2006-0329-504,_Reichstagswahl,_Propaganda_der_DNVP.jpg). Auch aus den vorherigen Wahlaufrufen triefen anti-sozialistische, antidemokratische, sexistische, antisemitische und rassistische Positionen.

Aber vor allem ist zu betonen, dass es die DNVP war, die mit ihrem Parteivorsitzenden Alfred Hugenberg am 30. Januar 1933 in die Hitlerregierung eintrat und der NSDAP damit zur Machtübernahme verhalf bzw. diese erst möglich machte. Beide Parteien wollten ohne jeden Zweifel die Republik abschaffen, die DNVP warb dezidiert mit dem kaiserlichen Schwarz-Weiß-Rot, hatte dazu auch enorme Sympathien für die faschistischen Bewegungen in Europa. Rive trat also 1928 in eine antidemokratische Partei ein und auch nicht aus, als das Schlimmste deutlich wurde. Und nicht nur das: Er hatte zwar Differenzen mit der NSDAP, aber diese setzte ihn nicht ab, vielmehr schied er tatsächlich aus Altersgründen aus. Trotzdem wird Rive in Halle „unpolitisch“ verehrt, sodass Wiegand gerne daran anknüpft und seinen eigenen Fall darauf bezieht. Natürlich führen dreißig Jahre als „Stadtoberhaupt“ dazu, dass die (un-)freiwilligen Untertanen dieses verherrlichen, aber einen Grund gibt es dafür nicht. Ebenso wenig gibt es einen Grund dafür, dass das Rive-Ufer seit 1992 wieder diesen Namen trägt, weil der 1925 von halleschen Polizisten ermordete „kleine Trompeter“ Fritz Weineck nicht mehr gut genug für die wiedervereinigten Stadtbürger*innen Halles war (siehe z.B. Sigmund Jähn). Aber es passt: Während Weineck ein Beispiel für Polizeibrutalität ist, ist Rive ein Beispiel für opportunistische Anpassung und Zuarbeit für den späteren Nazi-Terror – erst in der ebenfalls rechtsradikalen Deutschen Vaterlandspartei (ab 1917: https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Vaterlandspartei), danach wie oben erwähnt in der kein Stück weiter links stehenden DNVP (https://www.catalogus-professorum-halensis.de/riverichardrobert.html).

Weil Rive nicht der Schlimmste war, schaffte er es im Kaiserreich, in der Weimarer Republik, in der NS-Zeit und auch in der Nachkriegszeit niemals belangt oder besonders harsch kritisiert zu werden. Das möchten wir als Rezept für ein bequemes und möglichst langes Leben gar nicht besonders kritisieren. Mit seiner Mitgliedschaft in einer antisemitischen, brutalen und rechtsextremen Partei hingegen hat sich Rive hingegen klar positioniert. Dass das niemals thematisiert wird, verrät uns etwas über Halle – und über den Rive-Fan Wiegand. Es ist jedenfalls bezeichnend, dass man Fritz Weineck schon 1992 kein Ufer mehr gönnen konnte, Rive aber eben schon. Solange Rive beliebt bleibt, kann sich Wiegand auf die Liebe der Hallenser*innen zu angeblich unpolitischen Stadttyrannen jedenfalls verlassen.

Oder wie die MZ schreibt:

„Macher.“

(https://www.mz.de/lokal/halle-saale/richard-robert-rive-burgermeister-mit-weitblick-2134822)



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