Fundstück der 21. Kalenderwoche

Democracia Real YA!

(ag) Tausende sind zurzeit wieder auf der Straße, doch nicht in Nordafrika, was angesichts der Ereignisse in den letzten Monaten wahrscheinlich erscheint, sondern in Europa.
In Spanien demonstrieren seit Tagen tausende von Menschen, sie besetzen zentrale Plätze, wie in Madrid den Puerta de Sol oder finden sich immer wieder zu spontanen Kundgebungen zusammen.
Die „Movimiento 15-M“ (Bewegung des 15.Mai), welche sich selbst als Democracia Real YA! (Echte Demokratie, Jetzt!) bezeichnet, geht auf die Straße, um gegen Korruption, neoliberale Sparpolitik und die
etablierte politische Klasse, um für Arbeit, Bildung und politische Teilhabe zu kämpfen. Denn Spanien ist z.B. trauriger Spitzenreiter in der Arbeitslosenstatistik in Europa. Inzwischen sind über 21% der spanischen Bevölkerung ohne Arbeit, besonders aber bei den Jugendlichen ist die Situation prekär, hier liegt die Quote sogar bei 45%. Egal ob gut ausgebildet, mit einem Studienabschluss in der Tasche, die jungen Erwachsenen finden keine Arbeit oder oft nur befristete Stellen zu schlechten Bedingungen.
Im Zuge der Finanzkrise wurde auch Spanien ein hartes Spardiktat auferlegt. Unter Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero, hat die sozialistische Partei PSOE Rentenzahlungen eingefroren, das Kindergeld gestrichen und tausende Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut. Die konservative PP, die zweite große Partei mit überregionalen Einfluss in Spanien, versucht als Veto-Spieler politische Prozesse zu behindern.
Der Protest der sich in Spanien formiert, richtet sich aber nicht allein gegen den Sparzwang der EU, es ist keine Generalabrechnung mit der Regierung.
Die Protestbewegung greift das ganze System der Scheindemokratie im Kapitalismus an. Einzelne Parteien sind hier nicht Grund des Zorns, das gesamte Parteiensystem steht auf den Prüfstand, mit ihm die PolitikerInnen, die dieses System tragen und selbst nur nach Macht streben, anstatt für das Wohlergehen derer, die sie in den Parlamenten vertreten sollen.
Und das wird nicht nur von perspektivlosen Jugendlichen angeprangert, wie viele Medien gern berichten. Die Masse der Demonstrierenden ist keineswegs eine homogene Gruppe. Hier gehen jung und alt, AkademikerInnen und SchulabbrecherInnen gemeinsam auf die Straße, der Protest wird also von einer sehr breiten Bevölkerungsschicht getragen.
Doch noch weiß die Regierung nicht so recht mit ihren rebellierenden BürgerInnen umzugehen. Sowohl die PSOE, als auch die PP haben Verständnis für die Begehren der Protestierenden geäußert.
Gleichzeitig wurden aber Demonstrationsverbote angeordnet. Am Wochenende sind in Spanien Kommunalwahlen, angeblich sollen mit den Verboten der reibungslose Ablauf der Wahlen gewährleistet, sowie die Beeinflussung von WählerInnen verhindert werden. Eine sehr fadenscheinige Ausrede um den unbequemen Protest zu unterdrücken.
Denn was in Spanien nach der Wahl geschehen wird, ist im Moment noch nicht absehbar. Der Protest soll weitergehen, ein Signal für ganz Europa sein und die Menschen in anderen Ländern mitnehmen, auch in Deutschland nicht undenkbar.
Spanische Kritikpunkte sind auch auf Deutschland übertragbar. Es wird an den Menschen vorbei regiert, Protest ignoriert, die Demokratie weiter ausgehöhlt.
Es bleibt abzuwarten, wie die Situation in Spanien sich entwickelt, nachdem die PSOE eine historische Wahlpleite erlitt. Fast in allen Regionen Spaniens verloren sie massiv an WählerInnestimmen, die konservative PP dagegen gewann stark dazu und wird künftig auch in eigentlich PSOE-Hochburgen wie in den Städten Sevilla und Córdobar regieren.
Aber auch regionale Parteien konnten einen Stimmenzuwachs verzeichnen, wie das baskische Bündnis Bildu, dem eine Nähe zu Terrororganisation ETA nachgesagt wird oder die katalanischen Nationalisten CiU.
Insgesamt war die Wahlbeteiligung mit ca. 67% eher gering, was wahrscheinlich auch der allgemeinen Unzufriedenheit der BürgerInnen mit dem politischen System Spaniens mit zuzuschreiben ist.
Noch-Regierungschef Zapatero kündigte an, in seiner verbliebenen Amtszeit für Wirtschaftsreformen und mehr Jobs zu sorgen.
Fraglich ist, ob diese Versprechungen die aufgebrachten SpanierInnen beruhigen können.
Vielleicht wird aber auch die Chance auf tiefer gehende Veränderungen genutzt.




http://www.zeit.de/politik/ausland/2011 ... l-proteste
http://www.spiegel.de/wirtschaft/sozial ... 49,00.html
http://www.jungewelt.de/2011/05-21/045.php?sstr=spanien
http://www.auswanderer-blog.de/images/e ... n-2009.gif
http://www.taz.de/1/politik/europa/arti ... barcelona/

Kommentare

  1. VIVA Espana! So macht man das, wenn einem der Kapitalismus völlig enteignen will. Man kann nur hoffen, dass man jetzt ähnlich wie in Tunesien und Ägypten standhaft bleibt und die Proteste ununterbrochen fortsetzt.
    Zu den Wahlen in Spanien werde ich noch etwas auf meinem Blog schreiben, aber Ergebnisse findet man z.B. hier: http://resultados.elpais.com/elecciones/2011/ oder hier: http://es.wikipedia.org/wiki/Elecciones_municipales_de_Espa%C3%B1a_de_2011#Encuestas.
    Man sieht, dass neben der PP auch die IU (Vereinigte Linke), in denen sich Kommunisten und die Grünen vereinigt haben, von der Niederlage der PSOE profitieren kann. Doch noch nicht ausreichend, doch bis zur nächsten Parlamentswahl kann man hoffen, dass es mehr Aufwind für die Linksparteien in Spanien als 2007 gibt.
    Symptomatisch war, wie unsere Mainstream-Medien die Proteste erst verschwiegen, bis sie sie doch nicht mehr verschweigen konnten.

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  2. Und heute dann ein beschämender Nachtrag zu den Ereignissen in Spanien. Ein Vorfall von heute, als die Polizei versuchte den Zentralen Platz in Barcelona zu räumen.

    http://www.youtube.com/watch?v=SdFc3sgzz1s&feature=youtu.be
    http://www.youtube.com/watch?v=zhBi_G6VOVU
    http://www.youtube.com/watch?v=Geg_6Xoy04s&feature=youtu.be

    Hier zeigt sich, was der spanische Staat und wahrscheinlich alle kapitalistischen Regierungen im Zweifelsfall von ihrer Bevölkerung hält. Nichts anderes als im Nahen Osten und Nordafrika. Da bleibt einem eigentlich nichts anderes als es mit Brecht zu sagen: "Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?"

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