Märchenstunde oder Bibelkunde? Eine Nachreichung zum SMD

In einem unserer vorherigen Postings haben wir die “Studentenmission Deutschlands” (SMD) bereits dafür kritisiert, dass sie mit Rolf Hille jemanden eingeladen hat, der die Gleichberechtigung von Homosexuellen und das Selbstbestimmungsrecht von Schwangeren ablehnt sowie ein evangelikales Weltbild im allgemeinen vertritt. Evangelikal bedeutet hier die möglichst wortwörtliche Auslegung der Bibel, wie sie häufig in Freikirchen anzutreffen ist, und die Organisationsform jenseits der Evangelischen Kirche. Heute wollen wir auf etwas anderes hinweisen, was uns bei dem Vortrag mit Rolf Hille aufgefallen ist und der sich auch durch den Instagram-Account zieht.

Normalerweise würden wir, gerade auch mit Blick auf die strategischen Bündnisse zwischen Evangelikalen und anderen extrem Rechten, vermuten, dass die Menschen ihre zB homophobe Einstellung schlicht mit ihrem Glauben rechtfertigen wollen. Hier könnte es aber umgekehrt sein, denn die SMD-Mitglieder sind nicht rechtsextrem, per se vielleicht nicht einmal besonders reaktionär oder problematisch. Vielmehr ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie ganz durchschnittliche Studierende wären, wenn sie nicht die feste Überzeugung hätten, dass die Bibel wörtlich zu nehmen ist. Kurzum: Normalerweise zitieren homophobe Hassprediger ihre "Lieblingsstellen" aus der Bibel und freuen sich darüber, dass es passt - beim SMD nimmt man sie offensichtlich in Kauf, weil man an der Bibel nicht zweifeln darf. Diese Prämisse führt eben dazu, dass man irgendwie mit sexistischen und homophoben Ausfällen eines Paulus genauso umgehen muss, wie mit der Unfehlbarkeit Gottes, dem Missionsbefehl und dem von Antisemit*innen verwendeten Blutspruch. Denn egal ob Jesus übers Wasser geht, Tote zum Leben erweckt oder einfach nur rumsteht, egal ob die Evangelien sich widersprechen oder hunderte Jahre später entstanden sind - es muss stimmen und die SMD muss sich danach richten. Das ist auch der zentrale Unterschied zu anderen Christ*innen: Während man hier aus verschiedenen Gründen seit Jahrhunderten bzw Jahrtausenden dabei ist, von der wortwörtlichen Bedeutung abzurücken, weil diese letztlich nur als gesellschaftlicher Wahn umsetzbar wäre, hat man bei den Evangelikalen die fiktionale Vision einer wahren Bedeutung.

Und so kommt Rolf Hille eben nach Halle und erklärt auf die Frage, warum er homophobe Positionen vertritt, dass er “homophile Studenten” nie schlechter behandelt hätte, aber er nun einmal eine “theologische Wahrheitspflicht” habe. Heißt konkret: Er hat ihn aus seiner Sicht behandelt wie jede*n andere*n, aber musste ihm schon sagen, dass sein Begehren eine Sünde ist (für die er leider in die Hölle kommt). Gehen wir einfach mal davon aus, dass das mit der Behandlung stimmt und nicht nur Ausrede ist: Natürlich wird hier trotzdem jede Definition von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit erfüllt. Wenn man allgemeine Höflichkeitsnormen befolgt und Menschen aus diskriminierten Gruppen trotzdem sagt, dass sie abnormal, sündig oder zu konvertieren seien, der*die diskriminiert selbstverständlich ebenso. Ähnlich antwortete Hille auf die Frage, wie er sich denn zum christlichen Antisemitismus verhalte. Natürlich ist es ja schön, dass er “das Volk Israels” liebt, weil die Apostel ja selbst “aus diesem Volk” seien, aber das gibt weder den dringenden Wunsch auf, alle Nicht-Christ*innen zu missionieren, noch ist es eine konsequente Absage an den Antisemitismus eines Martin Luthers.
Wer sich einer historisch-kritischen Einordnung von Sprüchen wie “Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!” (Mt 27,25) verweigert, wer die offensichtlich sehr ums Patriarchat bemühte Agenda eines Paulus zur Richtschnur des eigenen Lebens macht und wer der festen Überzeugung ist, dass Gott gerade jetzt noch Wunder wirkt und tatsächlich ein Interesse daran hat, dass die SMD ostdeutsche Heiden missioniert, der*die muss letztlich zu solchen Schlüssen kommen.

Deshalb wollen wir den Versuch wagen, den Evangelikalen in einem zentralen Punkt zu widersprechen und deutlich machen, dass das Neue Testament eben nicht als objektiver und unverfälschter Tatsachenbericht dargestellt werden kann. Natürlich haben wir wenig Vertrauen darin, das zu leisten, was die historische Forschung den Evangelikalen seit Jahrzehnten sagt, aber wollen auf einige “Probleme” hinweisen, die die SMD in ihrem Instagram Auftritt gerne übersieht:

So erklärt ein Micha dort, dass das Neue Testament die “zuverlässigste antike Schrift” sei. In der Tat – sie ist so zuverlässig, dass es völlig unterschiedliche Datierungen von Jesu Geburt gibt. Aber wann ist er jetzt geboren? Zur Zeit des Herodes (gestorben 4 v. Chr.), wie Matthäus sagt, oder während der Statthalterschaft des Quirinius im Jahre 6 n. Chr., wie Lukas berichtet? Und wie zuverlässig wirkt es, dass das älteste Evangelium (Markus) komplett auf die Geburtsgeschichte verzichtet, während andere Jahrzehnte später diese im Detail beschreiben? Und warum berichten nicht-christliche Geschichtsschreiber wie Flavius Josephus nur knapp von einem Wanderprediger, während die christlichen Nachbar*innen so viel mehr zu wissen glauben? Und wieso gibt es überhaupt darüber hinaus kaum eine nennenswerte nicht-christliche Quelle? An diesem Problem ändert auch die "Zwei-Quellen-Theorie" nichts, die die Historizität eines Wanderpredigers nahezulegen scheint, aber eben nicht die Historizität von Wunder und sonstigen Erfundenen.

Auch Elisabeth vertraut den Schilderungen und führt aus, dass die Bibel “wissenschaftlichen Prüfungen standhält”. Da fragen wir uns, warum die SMD und Rolf Hille dann die historisch-kritische Methode ablehnt, die die Bibel als Quelle analysiert. Er selbst führt dazu aus, dass die Methode “ideologisch” bzw. “atheistisch” wäre, weil sie keine Wunder voraussetze. Wer also nicht einfach glaubt, dass die Bibel auf wunderhafte Weise Jahrzehnte bzw. Jahrhunderte (schließlich sind die ersten gefundenen Aufzeichnungen noch deutlich jünger als die historische Datierung) nach den vermeintlichen Ereignissen historisch absolut authentisch ist oder einfach nicht glaubt, dass der Gottessohn herabgestiegen ist, disqualifiziert sich laut Evangelikalen also für die Bibelforschung. Welcher wissenschaftlichen Prüfung hält die Bibel also stand – der Prüfung durch Wissenschaftler*innen oder durch Prediger*innen?

Einen anderen Ansatz auf der SMD-Seite vertritt Hanna, die sich die Auferstehung Jesu durch Indizien herleiten will. So gebe es keine “logische Erklärung, wo der Leichnam Jesu hin verschwunden sein soll” oder “die ersten Zeugen Frauen” waren. Untermauert werde das dadurch, dass Historiker*innen die Kreuzigung nicht anzweifeln würden. Das klingt valider, ist es aber nicht. Denn das Argument ist hier nur, dass in der im Wesentlichen ausgedachten Evangeliumsgeschichte ein Aspekt möglich ist (Kreuzigung Jesu) und das es ansonsten eine Erklärung (Auferstehung) für Ereignisse (Verschwinden der Leiche) gibt, die nicht belegt sind. Mit demselben Argument könnte man jede Erzählung zur Wahrheit erklären, die in sich stimmig ist. Und auch das Argument, das Leid der Märtyrer sei Beleg dafür, dass ihr Glaube wahr sei, ist vor dem Hintergrund der früheren und der weiteren Geschichte des Martyriums sehr absurd.

Zusammengefasst müssen wir feststellen, dass die SMD sich dafür einsetzt, dass Studierende die angeblichen Wunder der Bibel unkritisch wiedergeben und dabei auch alle anderen Positionen, die sie als wortwörtliche Anweisungen interpretieren, mindestens hinnehmen. So hören sich junge Menschen von einem erz-reaktionären Theologen an, warum ihnen nur der Evangelikalismus Sinn spenden kann – und warum man, frei nach “theologischer Wahrheitspflicht”, sich leider gegen die Sünde (Homosexualität, Freiheit, Atheismus) wenden müsse. Und für diesen Quatsch haben die Römer sicher niemanden ans Kreuz genagelt!


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