Wir brauchen kein Prestige!

Die “Deutschlandtour” soll kommen. Das hat ursprünglich die nun zerfallende Wiegand-Fraktion gefordert, danach ist auch die Stadtverwaltung darauf eingestiegen und zuletzt hat der Stadtrat zugestimmt. 

Dabei geht es um ein Etappenrennen im Straßenradsport. Prinzipiell gibt es das Konzept schon seit über einhundert Jahren, aber es wurde zwischendrin immer wieder eingestellt. In den kommenden Jahren soll es aber wieder stattfinden: Dieses Mal in privater Hand als “LIDL Deutschlandtour”.

Zusätzlich zu den Einnahmen durch Sponsoring und Rundfunkgebühren müssen Etappenorte Lizenzgebühren bezahlen, um die Tour überhaupt hosten zu dürfen. Darüber hinaus müssen die Kommunen, die die Ehre des Hostings errungen haben, das Drumherum bezahlen (Helfer*innen, Straßensicherung, weitere Anpassungen).

Als SDS sind wir nicht grundsätzlich dagegen: Radsport ist für viele Menschen wichtig und bei dem riesigen Vermögen, was ÖRR und Staat direkt für Fußball ausgeben, ist es nur fair, wenn auch andere Sportarten etwas abbekommen und es geht nicht um wirklich viel Geld. Denn eigentlich müsste eine Kommune sowieso in der Lage sein, auf 50.000 bis 150.000 Euro (die geschätzten Kosten der Tour) zu verzichten, ohne dass man in einen Verteilungskonflikt kommt. Denn Geld an sich ist da: Es liegt bei den Reichen. Aber auch wenn man als Stadt keine Vermögenssteuer erheben kann, gibt es noch weitere Möglichkeiten, um wenigstens nicht auf Kürzungen zu verfallen. 

Unser Problem ist allerdings: Der bereits existierende Verteilungskonflikt drückt sich in der Förderung der “Deutschlandtour” perfekt aus. Die Förderung zeigt, wofür Geld da ist und wofür nicht. Es wird über Gebührenerhöhungen (z.B. bei den KITAs) am laufenden Band diskutiert, derzeit gibt es eine Haushaltssperre und es drohen entweder weitere Preiserhöhungen oder weitere Einschränkungen von Leistungen. Aufgrund von wenigen tausend Euro wurden kostenlose Hygieneprodukte, Grillplätze und Fördermittel abgelehnt. Der Zoo, die HAVAG und die Bäder sind allein in diesem Jahr deutlich teurer geworden.

Die “Deutschlandtour” kritisieren wir also nicht, weil dort Menschen Fahrrad fahren und auch nicht primär, weil sie nach LIDL benannt ist (das Sponsoring hat ja jeden Profi-Sport übernommen), sondern weil hier Geld von Land und Kommune für ein privates Prestigeprojekt locker gemacht wird, was auch noch mit dem “Zukunftszentrum”, also dem viel größeren Prestigeprojekt begründet wurde. 

Denn abgesehen davon, dass das Zukunftszentrum überhaupt nichts mit Radfahren zu tun hat, geht es in diesem Sinne einfach nur um Marketing. Unternehmen sollen sehen, was Halle kann und sich dann ansiedeln, die Nachfrage soll gestärkt werden, Menschen sollen erkennen, dass hier “etwas” geht. Deswegen werden auch ständig überteuerte Studien über das Geschäftsklima oder die Attraktivität von Städten erstellen: Die Kommunen sollen sich um Investor*innen balgen und nach absurden Kriterien in Konkurrenz zueinander treten.

Das ist aber eine Stadtentwicklung, die nicht danach fragt, ob das für die Fahrradbubble in Halle ein Gewinn wäre, sondern die nur danach fragt, was für irgendwelche vorgestellten Investor*innen ein Gewinn wäre. Deshalb stellt die städtische HWG den Riebeckplatz mit teuren Seniorenwohnungen zu, deshalb soll dort ein 5-Sterne-Hotel am Riebeckplatz gebaut werden, deshalb wird der Kapellenberg entwaldet und zum Hotel und gibt es immer stärkere Verdrängung im gesamten Stadtgebiet (vom Paulusviertel bis in die Nördliche Neustadt). Das “Prestige” ist die Einladung dazu, genau diese Dynamik weiterzutreiben – mit der Unterstellung, die halleschen Bürger*innen würden sich darüber freuen.

Als SDS machen wir deshalb deutlich, dass wir uns klar gegen die vom Stadtrat beschlossene Förderung der “Deutschlandtour” aussprechen. Von der Linksfraktion, die sich im Mehrheitsvotum enthalten hat (mit einer Minderheit von Nein-Stimmen), erwarten wir, dass sie “Prestieprojekte” konsequent ablehnt, solange auch nur ein Cent mehr Miete in den städtischen Gesellschaften verlangt wird, ein Projekt nicht gefördert wird oder ein Antrag im Stadtrat nicht abgelehnt wird, weil er schlecht ist, sondern weil die Stadt keine 3.000 Euro dafür hat. 

Das gilt auch für das Zukunftszentrum, denn auch hier wurde längst nicht bewiesen, dass es mehr sein wird als ein Prestigeprojekt. Die Umbauten des Riebeckplatzes und die Orientierung auf Luxusgäste lassen nicht darauf schließen, dass sich hier etwas zum Positiven wandeln würde. Denn: Wir brauchen bezahlbare Mieten und einen starken Sozialstaat – und definitiv kein Prestige!



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